Die Wächter des Todes zittern

In der Morgendämmerung des ersten Wochentages kamen die Frauen, um nach dem Grab zu sehen: Wer zu einem Grab geht, sucht ein verschlossenes Grab, das man schmücken und wo man gedenken kann. Niemand, der zu einem Grab geht, erwartet ein geöffnetes Grab. Wir suchen vielmehr eine geordnete Verschlossenheit. Wenn wir zu unseren Gräbern gehen, suchen wir die Toten. Wären die Gräber geöffnet, würde uns derselbe Schrecken überfallen, der die Frauen am Grab Jesu überkommen ist.
Wer in der Morgendämmerung geht, ist noch leichter zu erschrecken. Es bebt das Herz, was es in der Trauer sowieso tut. Dass aber auch die Erde selbst bebt, damit will der Evangelist Matthäus, der dieses Erdebeben eingefügt hat, andeuten, dass am Grab Jesu Erderschütterndes passieren wird. Denn nicht ein befugter Totengräber öffnet das Grab, sondern ein Bote Gottes. Seine Kleider und sein Leuchten verweisen auf seine Herkunft und auf seinen göttlichen Auftrag.
Wie zum Spott über den Tod setzt sich der Engel auf den weggewälzten Stein, welcher das Ende Jesu hätte besiegeln sollen. Aber der Evangelist steigert noch einmal: die Wächter des Todes zittern und fallen um. Die Erde bebt, die Todeswächter zittern und werden ohnmächtig. Es klingt wie ein Hohn auf die Macht des Todes. Aber haben wir nicht Ähnliches in dieser Nacht schon gehört? Dass die Streitmacht des Todes selber ersäuft und dass die Wehrlosen ihr Leben retten konnten durch Gottes Hand ? Gott gegen den Tod und gegen seine Wächter - das ist die erste Szene der Ostererzählung des Evangelisten Matthäus.
Jene aber, die sich mit dem Tod verbündet haben, haben vergessen, mit Gott zu rechnen. Mit Gott haben sie nicht gerechnet, weder der Pilatus, der oberste Richter, noch der Kajafas, der oberste Priester, weder die Wächter am Grab, noch die geflohenen Jünger Jesu, nicht einmal die frommen Frauen haben mit Gott gerechnet. Mit Gott haben sie alle nicht gerechnet. Aber wer rechnet denn heute mit Gott ? Wer rechnet noch mit ihm?
Gott ist auch heute der größte Unsicherheitsfaktor beim Thema Tod. Gott ist aber auch der größte Unsicherheitsfaktor für den Tod.
Im Falle Jesu hat Gott anders entschieden als dessen todesmächtigen Richter. Gott hat auf seiner Seite Jesus auferweckt und ihm den Ehrenplatz zu seiner Rechten gegeben. Deshalb ist es sinnlos, sein Grab zu bewachen oder ihn dort zu suchen.Dorft findet ihn niemand mehr. Zu finden ist er allein an der Seite Gottes und dort, wo er sich von sich aus zeigt.
Und genau das bietet der der auf dem weggewuzzelten Grabstein sitzende Gottesbote den Frauen an: er geht euch voraus und ihr werdet ihn sehen. Sie brauchen die Erklärung des Engels zum leeren Grab nicht glauben, nein sie müssen es nicht glauben, sie werden ihn selber sehen. Damit tritt der Engel ab, sein letztes Wort klingt wie ein Schwur: "Ich habe es euch gesagt."
Tatsächlich verlassen die Frauen jetzt das Grab, wo sie ihn nie finden werden. Auf dem Weg aber zurück zu den anderen und eine neue Botschaft mittragend, auf diesem Weg finden sie ihn.